Vegetarismus:   Woher und wohin? Rückblick und Ausblick

                                                                                       von F.Binkert, 1998

       

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      Inhalt

      Einleitung       

      Begriffsbestimmung

      Wie kam es soweit 

      Die Nahrung des Menschen I

      Wie ging es nun mit der Ernährung der Menschen weiter?

      Zurück zur Natur 

      Gründe für vegetarische Ernährung 

      1. Ethik und Moral

      2. Religion

      „Behandle andere so, wie Du von anderen behandelt werden willst“  

      3. Gesundheit

      4. Ökologie und Wirtschaft

      5. Tierschutz und Tierrechtsbewegung

      Die Argumentationsmühle

      Die Nahrung des Menschen II

      Ausblick

       

      Vegetarische Links 

       

                                           Einleitung                                        

       

      Die nachhaltige Zunahme vegetarischer Tendenzen in der heutigen Ernährung moderner Menschen und die gleichzeitige Abnahme des Fleischverzehrs geben mir Gelegenheit, das Thema aus einigen Blickwinkeln zu betrachten.

       

      Das Thema Vegetarismus ist uralt: 

      Wie weit wir in der Entwicklungsgeschichte animalischer Lebewesen auch zurückblicken; immer wer­den wir sehen, dass es ein Nebeneinander gab zwischen Omnivoren, Fleischfressern, Vegetariern und Wesen, die sich auf eine ganz bestimmte Nahrung spezialisiert hatten.

      Dabei denke ich weniger an das Nebeneinander eines Kaninchens und einer Katze, die sich, sozial gut verträglich, in ihrem Verhalten und in ihrer Anatomie grundlegend unterscheiden, sondern an Tiere, die sich aus unserer Perspektive sehr ähnlich sind: Milben zum Beispiel, kleinste Spinnentiere, bei denen sich die einen als Raubmilben profilieren, während andere sich ausschliesslich von Hausstaub ernähren, oder Tausendfüssler, bei denen wir vegetarisch lebende Typen kennen und auch solche, die ihre Beute mit den 2 dolchförmigen Klauen erschlagen und vergiften.

      Kontrastreicher geht es bei den Dinosauriern zu: dem vegetarischen Brontosaurus excelsus möchte ich den carnivoren Tyrannosaurus rex entgegensetzen. Hier fällt es uns nicht schwer, die beiden Typen zu unterscheiden; Brontos mit den gutmütigen Augen, Tyrannos mit dem furchterregendsten Antlitz aller Zeiten.

      Während die Saurier vor Millionen von Jahren, lange bevor von einer Menschheitsent­wicklung die Rede sein konnte, ausgestorben sind, haben die Milben und die Hundertfüsser überlebt.

      Obwohl  Nahrung ein entscheidender Faktor in der Frage des Über­lebens ist, liegt es nicht an der Frage, ob Fleisch oder nicht, und auch die Grösse des Lebewesens und seine Hirngrösse scheinen nicht von entscheidender Bedeutung zu sein.

      Demnach stelle ich fest: Die Grösse eines Lebewesens, seine Stellung und Überlebenszeit in der Evolution und seine Hirngrösse und Intelligenz sagen nichts über die Art seiner Nahrung aus.

      Was ist es denn, was den Unterschied macht zwischen Carnivoren und Vegetariern?

       

      Vegetarian? Begriffsbestimmung

       

       

      Als die Briten 1842 diese Wortschöpfung aus dem Lateinischen vornahmen, dachten sie nicht an „vegetables“ und an den fantasielosen Gemüseteller langweiliger Gaststät­ten, sondern an einen geistig und körperlich starken Menschen. 5 Jahre später gründeten sie die britische vegetarische Gesellschaft. Damit begann sich der Begriff gegenüber dem bisherigen der „pythagoreischen Lebensweise“ durchzusetzen. Aber dazu weiter unten.

      Definitionsgemäss essen Vegetarier keine Tiere, sonst aber alles Übliche: Sie verzichten also selbstverständlich auf Hühner und Fische, auf Krebse und auch auf Muscheln, sie schrecken aber nicht zurück vor Milch und deren Produkten, und auch nicht vor Eiern. Die präzise Bezeichnung lautet Lacto-ovo-Vegetarier oder Lactovarier. Dies sind keine Schimpfwörter, sie regeln lediglich Präzisierungen durch Worterweiterungen; so gibt es auch Laktovegetarier (Laktarier), die also auch keine Eier essen,  und Puddingvegetarier, die sich vorwiegend mit dem Löffel ernähren, obwohl sie ein ganz normales Gebiss haben.

      Bestens abgegrenzt haben sich die Veganer: sie verzichten auf tierische Produkte, vorab auf Milch, Eier und Käse, aber auch auf Honig. Meistens geht ihr Verzicht noch ein bisschen weiter; so vermeiden sie nach Möglichkeit die Verwendung tierischer Materialien auch in der Kleidung und überhaupt.

      Bereits jetzt muss klar sein, dass nicht alle Vegetarier in einen Topf geworfen werden können; es gilt zu differenzieren.

      Dies wird erst recht deutlich, wenn die Begründung für den Verzicht auf Fleisch und andere Nahrungsmittel genauer betrachtet wird. Von ethisch-moralischen Überlegungen geht es über philosophische Betrachtungen zu ästhetischen Motiven, von da zu gesundheitlichen Begründungen, zu ökologischen Überzeugungen und letztlich zu geschmacklichen Abneigungen.

      Wie soll unter solchen Umständen von Vegetarismus die Rede sein? Es gibt nicht EINEN Vegetarismus, nein, jeder einzelne Mensch wird andere Schwerpunkte setzen, wird mehr oder weniger konsequent sein, wird im Betrachten der Dinge eine Entwicklung durchleben und seine Essgewohnheiten entsprechend anpassen.

      Wie kam es soweit?

       

      Wie wäre es mit einem kleinen Rückblick auf die Ernährung der sich entwickelnden Menschheit?                         Becoming Human ?

       

      Auf der Suche nach unseren Vorvorfahren stossen wir vor 5o Mio Jahren, als die Saurier schon lange ausgestorben waren, auf Necrolemur antiquus, 300 g schwer, der sich von Blättern, Früchten und Insekten ernährte. Aus diesem unscheinbaren, affenähnlichen Säugetier aus der inzwischen ausgestorbenen Familie der Omomyiden entwickelten sich alle echten Affen und damit auch die Hominiden, die Menschenähnlichen. Vor 20 Mio Jahren begann bei etlichen Affen der Abstieg von den Bäumen, die Entwicklung der Möglichkeit des aufrechten Ganges und die Ausbreitung etlicher Hominiden, das heisst, die Entwicklung einer Vielzahl verschiedener men­schenähnlichen Säugetiere.

      Unsere Vorvorfahren lebten in den Bäumen und assen Blätter und Früchte.

      Auf dem Weg nach unten (ich meine, von den Bäumen herab) treffen wir vor 17 Mio Jahren auf PROCONSUL, 20 kg schwer, einen schwanzlosen, noch sehr affenähnlichen Hominiden.

      Erst vor 3-4 Mio. Jahren finden wir endlich, nebst vielen anderen, AUSTRALOPITHECUS afarensis, mit der berühmten Vertreterin LUCY, 50 kg schwer, für die einen ein zweibeiniger Affe, für die anderen bereits ein Mensch, und soweit die besten Spezialisten das beurteilen können, bestand ihre Nahrung aus Früchten, Blättern, Nüssen, Samen und Wurzeln. Daran gibt es nun wirklich nicht sehr viel zu rütteln und zu rüsseln.

      Klar ist aber auch, dass die nachfolgenden Australopithecen (z.B. robustus) und der homo habilis, erectus, heidelbergensis und schliesslich sapiens (vor 100’000 Jahren) in wechselndem Ausmass auch Fleisch assen, anfänglich natürlich roh.

      Je mehr man sich mit der Evolution beschäftigt, desto klarer wird die Bedeutung der immensen Zeitperioden. Dazu ist es nützlich, sich diejenigen Zeitabschnitte, für die wir eine klare Vorstellung haben, also vielleicht 10, hundert und auch tausend Jahre, und andrerseits diejenigen, für die unser Vorstellungsvermögen versagt, also vielleicht 100’000, 1’000’000 oder 3’000’000 Jahre, grafisch darzustellen. Dann wird sofort klar, was für Zeiten eine Entwicklung in der Evolution benötigt, und man wird dem Tempo der Menschheitsentwicklung gegenüber viel geduldiger.

      Sprache als komplexe Form der Kommunikation, die Erfindung und der Gebrauch von Werkzeugen und Kleidern, die Beherrschung des Feuers, die Lernfähigkeit, der Bestattungskult, all dies kam nicht von gestern auf heute, und es kam nicht gleichzeitig. Es wird denn auch für den gewöhnlichen Menschenverstand offensichtlich, dass der Mensch nicht hopplahopp entstanden ist, sondern dass es sich um einen fliessenden Übergang handelt, der bei weitem nicht abgeschlossen, sondern auf dem Weg der Erprobung liegt und noch ein Weilchen dauern wird, sollte es nicht zum einem vorzeitigen Abbruch der Übung kommen.

      Das hindert uns keineswegs daran, uns von den Tieren abzugrenzen, aber etwas mehr Bescheidenheit in der Einschätzung unserer eigenen Art könnte nicht schaden: wir sind noch verbesserungsfähig!

      Unsere menschenähnlichen Vorfahren hatten ursprünglich keinen Grund, zu töten. Vielleicht hatten sie auch keine Lust dazu, und vor allem schienen sie nicht zu wissen, wie man es macht.

       

      Sehen wir uns an, wie es nach der Zeit der Australopithecen weiter ging:

      HOMO HABILIS, anerkannt als erster Mensch, trat vor 2 Mio Jahren auf die Bühne. Sein Hirn war halb so gross wie das unsrige, sein Lebensraum war Baum und Savanne zugleich. Er konnte gut gehen, aber noch nicht rennen. Er war ein schlechter Jäger, viel­leicht mehr ein Aasfresser. Damals hatte eine klimatische Veränderung mit Vereisung der Polkappen und Temperaturrückgang schon erhebliche Ausmasse angenommen; fröstelnd sah man der Eiszeit entgegen, und das tropische Paradies wurde zum Hungerland.

      Meine Hypothese: Am Anfang war nicht das Wort, sondern Hunger und Kummer  Oder frei nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

       

      Entwicklungsmässig einen Durchbruch schaffte HOMO ERECTUS, etwa vor 1 Mio Jahre. Rennen und Jagd mit Waffen, zumindest mit Faustkeil und Keule, erlaubten ihm nicht nur ein Überleben, sondern die Besiedelung der alten Welt trotz miesem Klima. Der Fleischanteil der Nah­rung nahm stark zu, aber, wohlverstanden: Rohkost-Fleisch, denn Feuer gab es noch nicht. Man rechnet für diese Periode mit einem Fleischanteil von 20-40% der Nahrung. 

      Die ersten „Lagerfeuer“ brannten, wohl mehr zufällig, vor vielleicht 750’000 Jahren; Feuer richtig zu beherrschen, war das Privileg von nomadisierenden Sammlern und Jägern der ARCHAISCHEN HOMO SAPIENS-TYPEN vor rund 200’000 Jahren. Man kann sie auch als altsteinzeitliche Höhlenmenschen betrachten.

      Auch damals bestand der überwiegende Teil der Nahrung aber noch aus unerhitzter Frischkost. Mit regelmässigem Feuereinsatz zur Nahrungszubereitung rechnet man ab vor 60’000 Jahren. Und endlich kam ER auf den Plan, master of his own: HOMO SAPIENS SAPIENS; vor erst 100’000 Jahren gelang es ihm, in wenigen tausend Jahren den ganzen Planeten zu bevölkern. Alle anderen menschlichen Arten bis auf die Neandertaler (Exitus definitivus vor 40’000 Jahren) waren inzwischen ausgestorben. Vor 10’000 Jahren begannen jungsteinzeitliche Bauern Ackerbau zu betreiben, Haustiere zu domestizieren und Nutztiere zu züchten. Frühestens vor 6000 Jahren trinkt der Mensch Milch von domestizierten Wiederkäuern.  

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      Die Nahrung des Menschen I

      Zivilisatorisch ist der Mensch ein Allesesser und weltweit der erfolgreichste Jäger, biolo­gisch ist er immer noch ein Vegetarier: Früchte, Nüsse, Körner, Pflanzenteile und Wur­zeln sind ihm als Nahrung bestimmt. Zähne, Hände, Beine; unsere Anatomie und auch unser Stoffwechsel sind nicht die eines jagenden Raubtieres!

       

      - Unsere krallenlosen Früchtegreiferhände, unsere Wanderbeine, unsere Sammlerfüsse!   

      - Unsere grossen Speicheldrüsen produzieren ein ptyalinhaltiges, alkalisches, für Pflanzenfresser typisches Sekret; die Speicheldrüsen der Fleischfresser sind    klein und produzieren ein saures Sekret ohne Ptyalin

      - Der ganze menschliche Magendarmtrakt gleicht nicht dem eines Carnivoren.

      - Die Magensäure des Menschen und der Pflanzenfresser ist etwa 10 mal schwächer als die der Carnivo­ren.

      - Harnsäure, die beim Fleischverzehr anfällt, kann beim Menschen 10 mal schlechter ausgeschieden wer­den, weil ihm das Enzym Uricase fehlt.  

      - Vitamin C kann vom Menschen, von einigen vegetarischen Primaten und von Meerschweinchen nicht selbst synthetisiert werden. Typische Fleischfresser synthetisieren Vit.C selbst. 

      - Vitamin A ist in tierischer Leber reichlich vorhanden; bekommt der Mensch zuviel davon, kommt es zu einer Vit.A-Vergiftung.

        

      Nebst geduldigsten, millimeter-schichtweisen Untersuchungen von Grubeninhalten zur Suche von Faekalien-Bestandteilen durch spezialisierte Archäologen erlaubt auch die Analyse des Gebisses Rückschlüsse auf die Nahrung:

      Die beim Proconsul noch deutlichen Reisszähne, die beim Savannenschimpansen noch heute sichtbar sind, haben sich in der weiteren Entwicklung bereits bei den frühesten  Australopithecen (vor 5 Mio J.) rückgebildet. Da die Werkzeug-und Waffenbenutzung zur Jagd aber erst drei Millionen Jahre später einsetzte, ist es falsch, anzunehmen, die Reisszähne hätten sich aus zivilisatorischen Gründen zurückgebildet, weil die Jagd mit Waffen die Reisszähne überflüssig gemacht hätten. Richtig ist viel mehr, dass die humanitäre Entwicklung und das damals reichliche Nahrungsangebot gewissen Primaten erlaubte, auf die Jagd zu verzichten und auch sonst wenig Interesse für artinterne Konkurrenzkämpfe zu zeigen.  

      Die etwa drei Mio Jahre dauernde vegetarische Phase unserer Vorfahren ging mit der Kli­maveränderung und dem Beginn der Eiszeiten zu Ende. Die höheren geistig-intellektuel­len Fähigkeiten des Menschen reichten damals nicht aus, um den Landbau zu entwic­keln, wohl aber für erfolgreiche Jagd mit einfachen Waffen. So war es den Menschen möglich, trotz Rückgang der üppigen Vegetation neue Lebensräume mit kühlerem Klima zu erobern.

      Allmählich ging der Früchteanteil zugunsten tierischer Rohkost zurück, beim Homo habilis noch in bescheidenem Umfang, beim Homo erectus hingegen bildete Fleisch einen existentiell wesentlichen Teil der Nahrung.

      Diese Umstellung erfolgte nach den Massstäben der Evolution in sehr kurzer Zeit, han­delte es sich doch nicht um eine biologische Evolution, sondern um eine durch Hirnleistung getragene zivilisatorische, bei der erfahrenes Wissen der nächsten Generation weitergegeben werden konnte, was die Entwicklung beschleunigte.

       

       

      Wie ging es nun mit der Ernährung der Menschen weiter?

      Wo waren vegetarische Ten­denzen sichtbar?

      Prinzipiell verhielt sich der Mensch opportunistisch und richtete sich nach dem vorhandenen Angebot. Seine Anpassungsfähigkeit war und ist gross. Die Regel bildete eine gemischte Kost mit einem regional unterschiedlichen Anteil an tierischer Nahrung.

      Wenn nun irgendwo in der weiteren Geschichte vegetarische Ideen auftauchen, so hat dies nichts mit dem Angebot zu tun, sondern mit intellektuellen Überlegungen, mit religiösen Gedanken. So geschah es im alten Iran:

      ZARATHUSTRA (griechisch Zoroaster) war dazu berufen, den Iranern eine neue Reli­gion zu stiften, den Parsismus, und ordnete die Abschaffung der leidvollen Stieropfer an. Er ist in die Zeit von mindestens 600 Jahre v.Chr. einzuordnen. Seine Religion hat immer noch Anhänger im Iran, und sein vegetarisches Gedankengut lebt in der Mazdaznan - Bewegung weiter.                                     Mazdaznan

      In der Antike

       

      Zunächst ist die religiöse Sekte der Orphiker zu erwähnen, Anhänger der mystischen Gestalt des ORPHEUS, die aus religiös-asketischen Gründen auf Tieri­sches verzichteten, wenn auch nicht konsequent.

      PYTHAGORAS (592-493), der Weise von Samos, war der berühmte­ste Vegetarier überhaupt; Mathematiker und Philosoph zugleich, gründete er eine eigene Schule, nachdem er auf langen Reisen in Aegypten und Babylonien die Lehren von Zarathustra, Buddha, Konfuzius, Lao-tse und andere studiert hatte. Geprägt vom Glauben an die Seelenwanderung war es nicht mehr möglich, „beseelte Wesen“ zu essen; zudem verbot die zentrale Bedeutung des Feuers, die Nahrung zu kochen oder zu braten.    

      Die tägliche Kost der Griechen ausserhalb des Kreises von Pythagoras und seinen Anhängern richtete sich indessen nicht danach, sondern mehr nach der sozialen Stellung: Die Armen begnügten sich mit Getreide und Hülsenfrüchten, die Reicheren genossen eine gemischte Kost. Der freiwillige Verzicht auf Fleisch bildete die Ausnahme; daran konnten auch Ärzte nichts ändern, die erstmals gesundheitliche Aspekte der vegetarischen Kost ins Spiel brachten: HIPPOKRATES, (Sonnenkost). Die pythagoreische Lehre übernahm also nebst orphischen wesentliche asiatische Elemente in den Westen und gab sie kontinuierlich weiter, wenn auch nie in grossem Ausmass.

      PLUTARCH (46-125) brachte ganz neue Elemente ins Spiel: er verstand die Liebe und Milde gegenüber den Tieren als eine Übung für Nächstenliebe und Barmherzigkeit:

       Mit beseelten Geschöpfen darf man nicht wie mit Schuhen und anderen Geräten verfahren, die man, wenn sie zerbrochen sind, wegwirft, sondern man soll sich an ihnen, wenn aus keiner anderen wenigstens zur Übung in der Menschenliebe, zur Güte und Sanftmut gewöhnen“. (Plutarch)

      Die logische und praktische Konsequenz dieser Einstellung zu den Tieren war Vegetarismus.

      Weitere Vegetarier unter den Griechen seien erwähnt: Empedokles, Epikur, Musonius, Theophrastos, auch Sophokles und Euripides. APOLLONIUS von Tyana, ein Zeitgenosse von Jesus, setzte eine strengere Konsequenz durch und verhielt sich vegan.

      In den ersten 4 Jahrhunderten nach Chr. prägten einerseits Sekten wie die Essener, andrerseits das Urchristentum die vegetarische Szene. Jakobus der Gerechte, der Bruder von Jesus, war dazu bestimmt worden, die Führung der Christen zu übernehmen, er mied Fleisch und Alkohol. Porphyrius, Clemens von Alexandrien, Origenes, Lactantius, Gregor von Nazianz, Tertullianus, die Heiligen Basi­lius,  Chrystostomus, Hieronymus, Augustin : alles diese Kirchenväter waren Vegetarier, aber weshalb eigentlich?

      Neben der Wahrnehmung des Tieres als Lebewesen war die Askese ein wichtiger Grund, sich des Fleisches zu enthalten.

      Das heute noch als Vorurteil anhaftende asketische Element des Vegetariers hat durchaus seinen historischen Hintergrund, ist aber längst überholt und hat für die Verbreitung des Vegetarismus eine kontraproduktive Wirkung.

      Etwa 400 Jahre n.Chr. endete die vegetarische Bewegung, ohne sich jemals wirklich durchgesetzt zu haben.

      Ausführlich und so präzis wie möglich wird darüber im Werk von Johannes Haussleiter berichtet.

      Es folgte eine stille Periode, bis FRANZISKUS VON ASSISI (1172-1226) etwas Unruhe brachte. Er sprach mit den Tieren wie mit den Menschen, im Vordergrund stand allerdings die Verpflichtung zur Armut, und man kann ihn nicht als Vegetarier bezeichnen.

      Gott wünscht, dass wir den Tieren beistehen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Ein jedes Wesen in Bedrängnis hat gleiches Recht auf Schutz ( F.v.Assisi).

      Einige Bedeutung hatten Sekten und Gruppierungen, die sich vorab aus asketischen Gründen vegetarisch ernährten:  Waldenser und Katharer, Hussiten, Duchoborzen, Trappisten, und andere.

       

      Wie man so hört, gefiel das der katholischen Kirche gar nicht gut. Der Verzicht auf Fleisch wurde zum Erkennungszeichen der Ketzer: Vegetarier landeten deshalb durch  Inquisition auf dem Scheiterhaufen. Inzwischen hat die katholische Kirche enorme Fortschritte gemacht. Sie interessiert sich zwar immer noch nicht für Tiere, und sie gebärdet sich immer noch grauenhaft überheblich, lässt aber Vegetarier immerhin am Leben.

      LEONARDO DA VINCI (1452-1519) war nicht nur als Universalgenie, sondern auch Tierfreund und Vegetarier. Er beklagte das Leiden der Tiere, die Vernichtung der Wälder, die Ausbeutung der Natur und prophezeite eine Zeit, in der sich die Menschen mit Pflanzenkost begnügen würden. Seltsam, dass er auch eine Stärke für Kriegsmaschinen hatte.


      Ich habe schon in jüngsten Jahren dem Essen von Fleisch abgeschworen, und die Zeit wird kommen, da die Menschen wie ich die Tiermörder mit gleichen Augen betrachten werden wie jetzt die Menschenmörder“ (L.da Vinci).

       

      In den folgenden Jahrhunderten traten immer wieder vereinzelte Philosophen, Theologen, Historiker, Ärzte, Schriftsteller auf, die sich für Vegetarismus stark machten und moralische, ästhetische oder gesundheitliche Aspekte vortrugen.

      Einige Zitate sollen davon zeugen:

      Gewiss ist es, dass dieses scheussliche Blutbad, welches unaufhörlich in unseren Schlachthäusern und Küchen stattfindet, uns nicht mehr als ein Übel erscheint... kann es denn aber etwas Abscheuli­cheres geben, als sich beständig von Leichenfleisch zu ernähren?“ (François de Voltaire, 1694-1778)

      Dem Tier gegenüber sind heute alle Völker mehr oder weniger Barbaren. Es ist unwahr und grotesk, wenn sie ihre vermeintliche Kultur bei jeder Gelegenheit betonen und dabei täglich die scheusslich­sten Grausamkeiten an Millionen von wehrlosen Geschöpfen begehen...“ (Alexander von Humboldt, 1769-1859)

       

      Ich hege keinen Zweifel darüber, dass es ein Schicksal des Menschengeschlechts ist, im Verlaufe sei­ner allmählichen Entwicklung das Essen von Tieren hinter sich zu lassen...“ (H.D.Thoreau, 1817-1862)

       

      Wenn Du keinen Menschen töten kannst - gut; kannst Du kein Vieh und keine Vögel töten - noch es­ser; keine Fische und Insekten - noch besser. Bemüh Dich, so weit wie möglich zu kommen. Grüble nicht, was möglich ist und was nicht - Tu, was Du mit Deinen Kräften zustande bringst. Darauf kommt alles an.“ (Leo Tolstoi, 1828-1910)

       

      Tiere sind meine Freunde, und meine Freunde ess’ich nicht!“ (Georg Bernhard Shaw, 1856-1950)

       

      Was erwarten wir denn von einer Religion, wenn wir das Mitleid mit den Tieren ausschliessen?“ (Richard Wagner, 1813-1883)


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      Die Lebensreform-Bewegung:  ZURÜCK ZUR NATUR

       

      Der Begriff wurde anfangs des 19.JH von J.F.Newton geprägt, nachdem J.J.Rousseau bereits im 18.JH. die Grundlagen für eine naturistische Weltanschauung und ein einfaches, naturverbundenes Leben im Grünen gelegt hatte.

      Die Lebensreform war eine Antwort auf die Industrialisierung und umfasste neben Vege­tarismus auch Antialkoholismus, Tierschutz, Naturschutz, Naturheilkunde, Genossenschaftsbewegung, Bodenreform, Siedlungs-und Gartenstadtbewegung, Kleiderreform, Freikörperkultur, Jugendbewegung, Reformpädagogik u.a.m.(Ch.W.Hufeland, S.Hahne­mann, V.Priessnitz, S.Kneipp)

      Die Kritik am Ernährungswandel bezog sich auf den stetig zunehmenden Fleischverzehr und die Zunahme von Zivilisationskrankheiten. Gesundheitliche Motive waren also im Vordergrund. Zahlreiche Vereinsgründungen mit regen Aktivitäten waren für die zweite Hälfte des 19.JH typisch (J.A.Gleizès, G.von Struve, E.Baltzer, R.Springer, T.Hahn).

      Besonders erwähnt sei der Schweizer Max Bircher-Benner (1867-1939), Erfinder des Bircher-Muesli. Die Nahrungsmittelforschung des 20.JH hat Bircher weitgehend Recht gegeben. Bircher konnte zwar nicht wissen, dass und warum er Recht hatte, erntete deshalb auch den Spott der ganzen Fachwelt. Als „Alternativer“ hatte er sich nach dem Studium der Medizin bei Priessnitz, Kneipp und anderen Ärzten Kenntnisse über Wasserkuren, vegetarische Ernährung und andere Naturheilmethoden angeeignet und 1897 in Zürich-Hottingen eine Privatklinik eröffnet. Nur dank einer Metamorphose gelangte das Müesli zum heutigen Weltruhm: Äpfel wurden durch beliebige Früchte und Haferflocken durch andere Getreidearten ergänzt; Kondensmilch durch eine ganze Palette von Frischmilch-Produkten ersetzt.   

       

       Die moderne Strömung des Vegetarismus war gezeichnet von der Beweisführung gesundheitlicher Vorteile und vom Tierschutz:

      ·        neu erkannte Risiken des Fleischkonsums

      ·        Pharmakologie der sekundären Pflanzenstoffe in der Vorbeugung von Krebserkrankungen

      ·        erhöhte Aktivität des Tierschutzes wegen skandalöser Tierhaltung

      ·        progressive Tierrechtsbewegungen

       

       

      Gründe für vegetarische Ernährung

      1. Ethik und Moral

       

      Es geht um die Frage der Sittlichkeit, des sittlichen Verhaltens des Menschen, wobei sich die Ethik in wissenschaftlicher Weise darum bemüht, die Moral in ausserwissenschaftlicher Weise. Inwieweit darf sich der Mensch des Tieres bedienen, um seinen Nahrungsbedarf zu decken, wenn dies auch anders geht, inwieweit darf er es töten, inwieweit darf er es quälen? Braucht er sich überhaupt um diese Fragen zu kümmern, und von wem kann er Antworten erwarten?

      Ethik ist nicht ein Katalog von Meinungen, wie es sein könnte. Hinweise auf Traditionen, gefühlsmässige Einstellungen und emotionale Ausbrüche oder autoritäre Bibelzitate sind keine Argumente. An der Ethik haben sich die gescheitesten Menschen gemessen, und sie sind sich nie einig geworden; so schwierig ist die Materie.

      Es fällt auf, dass kalte Menschen wie Aristoteles, Kant und Descartes, die nichts für Tiere übrig hatten, diese auch auf das niedrigste einstuften und aus ihrer Ethik ausschlossen.  

      Weiter fällt auf, dass eine Vielzahl von Ethikern, die es sich bezüglich Einordnung der Tiere nicht so leicht machen, Vegetarier sind oder waren: erwähnt seien Arthur Schopenhauer (1788-1860, Mitleidsethik, Lehre vom Willen der Natur), sein diesbezüglicher Schüler Friedrich Nietzsche (1844-1900),

      Albert Schweitzer (1875-1965) und Mahatma Gandhi (1869-1948), weiter auch Peter Singer, Eugen Drewermann, Jean-Claude Wolf, Gotthard M.Teutsch und Helmut Kaplan.

       

      Für jeden nachfühlbar ist am ehesten Schweitzer’s Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben. Vom Ethiker wird verlangt, dass er mit scharfem, logischen Denken Richtlinien für ein sittliches Verhalten findet. Wenn ein Ethiker zum Schluss kommt, dass Tiere nicht getötet werden dürfen und Fleisch nicht zu unseren Nahrungsmitteln gehört, so ist er in einer Gesellschaft, in der 99% anderer Meinung sind, ein ungeliebter Ethiker. Er wird zwar zur Kenntnis genommen, aber ausgegrenzt.

       

      So wurde SCHOPENHAUER für seine vom Mitleid geprägte Ethik verrissen, seine Depressionen gegen ihn verwendet, ohne zu hinterfragen, woher sie kamen.

      Die Welt ist kein Machwerk und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbar­men, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig.....die Menschen sind die Teufel der Erde und die Tiere sind ihre geplagte Seelen.“ (A.Schopenhauer)


       

       

      SCHWEITZER wurde als Urwalddoktor, als Theologe, als Musiker gefeiert, hingegen begegnete man seiner Ehrfurchts-Ethik mit Skepsis; hätte sie doch bedeutet, dass es unsittlich ist, einfach so vor sich hinzuleben, müsste man doch täglich fragen, wo die Grenzen sind im Töten von Lebewesen, deren Lebensdrang ausser Zweifel steht. Schweitzer hat um diese Grenzen selbst jeden Tag gerungen, wohl wissend, dass wir nicht leben können, ohne anderes Leben zu vernichten. Erst mit mehr als fünfzig Jahren begann er zunehmend vegetarisch zu leben, um sich schliesslich unmissverständlich aus zusprechen:
       

      Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt. Meine Ansicht ist, dass wir, die wir für die Schonung der Tiere eintreten, ganz dem Fleischgenuss entsagen und auch gegen ihn reden. So mach ich es selber.“ (A.Schweitzer, Lambarene, 30.8.64).

        

      MAHATMA GANDHI soll als Vertreter des Ahimsa-Gebotes einerseits und des „passiven“ Widerstandes andrerseits stehen: Ahimsa: Du sollst ein lebendes Wesen nicht töten und nicht schädigen, auch nicht mit bösen Gedanken. Passiver Widerstand: ein unglücklicher Ausdruck, ist doch dieser Widerstand sehr aktiv: Nichtmitmachen, Gewaltlosig­keit und ziviler Ungehorsam sind eine grosse Kraftleistung, wenn auch nicht mit roher, physischer Gewalt. Gandhi wird in Indien nicht mehr ernst genommen.
       

      Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.“ (M.Gandhi)     

       

       

      EINSTEIN profilierte sich u.a. mit der Relativitätstheorie, die von Physikern schon früh, von den Massen spätestens mit der Explosion der ersten Atombombe als nicht ganz unerheblich wahrgenommen wurde. Sein untenstehendes Zitat hingegen wurde nie ernst genommen. 

      „Rein durch ihre physische Wirkung auf das menschliche Temperament würde die vegetarische Ernäh­rungsweise das Schicksal der Menschheit äusserst positiv beeinflussen können. (A.Einstein) . Einstein wird immer wieder als Vegetarier zitiert. Das entspricht dem Wunschdenken der Vegetarier, aber nicht der Realität. Die Einstein-Gesellschaft in Bern ist der Frage nachgegangen.  

        

      Der moralische Aspekt erfordert im Gegensatz zum ethischen nicht einen wissenschaftli­chen Ansatz. Er braucht nicht bewiesen zu werden. Es ist jedem freige­stellt, zu sagen: Es scheint mir unmoralisch zu sein, dieses Tier zu töten.

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      2. Religion 

       

      Menschen beschäftigen sich seit jeher im Gegensatz zu Tieren mit Gott oder Göttern, mit überirdischen Wesen und ihren Gesetzen. Die Kulturgeschichte hat im Verlaufe der Jahrtausende verschiedne Religionen geprägt, die grössten unter ihnen können als Wel­treligionen bezeichnet werden. Je weiter in der Religionsgeschichte zurückgegangen wird, desto deutlicher finden sich Achtung vor allen Lebensformen und vegetarische Ernährungsvorschriften.  

       

      „Behandle andere so, wie Du von anderen behandelt werden willst“

       

      Eine goldene Grundregel, die sich wiederholt:

       ·      In den vedischen Schriften der Hindu: „Dies ist die Summe aller Pflichten: Tue anderen nichts an, das

      dir Schmerz bereiten würde, wenn man es dir antäte“

      (Maha bharata 5.1517)

      ·        Im Buddhismus: „Verletze andere nicht durch etwas, das du selbst verletzend fändest“ (Udana-Varga

      5.18)

      ·        Im Konfuzianismus: „Dies ist gewiss der Grundsatz tätiger Barmherzigkeit: Tue anderen nicht an, was du

      nicht willst, dass sie dir antun“ (Analekte 15,23)

      ·        Im Islam: „Keiner von euch ist ein Gläubiger, ehe er nicht seinem Bruder das wünscht, was er sich selbst

      wünscht (Sunna Hadith)

      ·        Im Judentum: „Was du nicht willst, dass man dir tue, das tu einem anderen auch nicht“(Talmud, Shab­

      bat 31a u.a.)

      ·        Im Christentum:“Alles nun, was ihr wollt, das euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch“

      (Matthäus 7,12)

       

      Die „anderen“ und die „Brüder“ waren ursprünglich durchaus nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Aber: eine Religion ohne Anhänger wird sich nicht durchsetzen können. Kompromisse sind angesagt; obwohl die Weltreligionen in den Ursprüngen durchaus vegetarisch angelegt sind, entstehen je länger je mehr Eingeständnisse an Gebote, die den Menschen nicht passen.

       

      Die ältesten religiösen Texte überhaupt, die VEDEN DER HINDU, sind streng vegetarischer Art. Der Glaube an die Seelenwanderung, das Gebot der Ahimsa und viel andere fundamentale Komponenten verbieten den Verzehr von Fleisch.

       

      Auch im BUDDHISMUS, den Siddharta Gautama im 6.JH v.Chr. entwickelte, war Barmherzigkeit und vegetarische Lebensweise zunächst eine conditio sine qua non:

      „Mögen alle Kreaturen, alles Lebende, mögen alle Lebewesen, welcher Art auch immer, nichts erfahren, wodurch ihnen Unheil droht“.  

       

      Im modernen JUDENTUM findet sich vegetarische Ernährung nicht als biblischer Grundsatz. Auffallend sind aber die hochkomplexen Speisevorschriften, was die Zulassung und Zubereitung von Fleisch betrifft. Verdächtig? Natürlich; das Verständnis der Thora hat sich stark gewandelt, um nicht zu sagen, verwässert. Die ursprüngliche Gesinnung ist nachzulesen in der Genesis, 1,29: Danach sprach Gott: „Hiermit übergebe ich Euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“

       

      Die Geschichte des CHRISTENTUMS ist eine Geschichte der Unterdrückung und des Tötens; sie hat mit dem Schöpfungsgedanken und der Botschaft Jesu wenig gemeinsam. Das mag paradox tönen und schockierend wirken, aber eigentlich ist es offensichtlich: Da waren doch Gebote, die von der Nächstenliebe sprachen und vom Töten abhalten wollten, es waren Sekten da wie die der Nazoräer und Essener, die sich danach zu richten versuchten, und es gab ein Urchristentum, das sich weitgehend einer vegetarischen Lebensweise verpflichtete. Daneben gab es eine Menschenmenge, die auf keinen Fall auf ihre ohnehin kleine Fleischration verzichten wollte. Man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass Vegetarismus damals in erster Linie dem Mitleid mit den Tieren zuzuschreiben war: Der Gedanke der Reinheit, der Befleckung mit tierischem Blut, die Idee der Enthaltsamkeit und der Askese waren wahrscheinlich weit wichtiger, und vor allem bei den frühen Kirchenvätern schimmert eine Lebensfeindlichkeit durch, die mit Tierliebe nicht viel zu tun hat.

      Es ist ausserordentlich schwierig, die damalige Situation bezüglich Verhältnis der Menschen zu den Tieren und bezüglich Motivation des Essverhaltens im Nachhinein realistisch beurteilen zu wollen. So ist es denn auch müssig, sich um vermeintliche Schlüsselfragen zu streiten, z.B. darüber, ob Jesus Fleisch gegessen haben soll oder nicht. Das eine sind Mutmassungen, Denkmodelle und Wunschdenken, das andere ist die historische Wahrheit, die oft im Dunkeln liegt. So weiss man über den historischen Jesus einfach zu wenig, wenn man kritisch mit den Berichten umgeht. Fest steht, dass ihm das Gebot der Commensalität sehr nahe stand, weshalb er unter den Juden als Revolutionär galt: sich mit beliebigen Menschen an den gleichen Tisch zu setzen und ihre Speise mit ihnen zu teilen, wie es die Commensalität gebot, war für Juden undenkbar; für Jesus war es die Norm. Das ist das eine. Deswegen mit dem Finger auf ihn zu zeigen und zu schreien: Du hast Fleisch gegessen! ist das andere. Das eine bedeutet Commensalität und Toleranz. Das andere bedeutet eidgenössische Fingerzeigementalität. (Du isst kein Fleisch? Aber Du hast ja Lederschuhe an!)

      Wenn die heutige Kirche damit argumentiert, die Commensalität Jesu rechtfertige den Fleischverzehr, so hat sie ihn (ab)sichtlich falsch verstanden.

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      3. Gesundheit 

       

      Gesundheitliche Argumente in der vegetarischen Ernährung spielten früher eine sekundäre Rolle und kamen in der westlichen Welt zunächst bei griechischen Ärzten und dann erst wieder im 19. JH in der Bewegung der Lebensreform zum Zuge. Heute sind wir in der bequemen Lage, entscheidende Fragen auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen beantworten zu können. Die Lebensmittelforschung hat erst dieses JH. erhebliche Fortschritte gemacht; z.B. in der Entdeckung der Vitamine, in Erkenntnissen über toxische Substanzen und im Begreifen von Schutzwirkungen von sekundären Pflan­zenstoffen(Carotinoide, Phytosterine, Saponine, Polyphenole, Protease-Inhibitoren, Terpene, Phytoöstrogene, Sulfide).

       

      Die heutigen Erkenntnisse sind denn keine Hypothesen mehr, sondern erhärtete Tatsachen.

      2 Fragen stehen im Vordergrund:

      Wie wird der Bedarf an Nährstoffen durch vegetarische Kostformen gedeckt, wo könnten allenfalls Mängel entstehen?

      Was für Komponenten der Ernährung könnten die Gesundheit schädigen? 

      Die Beantwortung der ersten Frage stützt sich einerseits auf Berechnungen und andrer­seits auf minutiöse Beobachtungen in so genannten Vegetarierstudien; das sind nicht Studien, die von voreingenommenen Vegetariern durchgeführt wurden, sondern von neutralen Ernährungsinstituten oder Universitäten, und zwar verteilt über die ganze Welt. Dabei sind die Resultate übereinstimmend und für lactovegetarische Gruppen positiv zu bewerten.

      Zum einen wurde die Nährstoffaufnahme verschiedener Gruppen mit den landesüblichen Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr verglichen, zum anderen wurde der Ernährungszustand der Teilnehmer beurteilt.

      Die Nahrungsaufnahme wurde analysiert nach: Energie, Kohlenhydrate, Fette, Proteine, Ballaststoffe, Vitamine (wasser-und fettlösliche), Mineralstoffe (Mengen-und Spurenele­mente), andere physiologisch bedeutsame Substanzen (Taurin, Carnitin, sekundäre Pflanzenstoffe).

      Der Ernährungszustand wurde beurteilt nach: Gewicht und Grösse, Körperbau, BMI, Fettmasse, klinische Zeichen einer ernährungsbedingten Störung, biochemische Messungen (Gesamtprotein, Transferrin, Stickstoffbilanz u.s.w.), immunologische Parameter in unterschiedlichem Ausmass bis zu Lymphocytentransformationstesten) und der Leistungsfähigkeit.

       

      Zusammenfassend (minutiöse Einzelheiten sind bei Leitzmann nachzulesen) ergeben sich folgende Schlüsse:

      bei der überwiegenden Zahl der Nährstoffe zeigt sich, dass eine vegetarische Ernährung günstiger zu bewerten ist als eine Mischkost bzw. dieser adäquat ist. Bei wenigen Nährstoffen (insbes. Vit.B12 und Eisen) können u.U. Versorgungslücken auftreten. 

      Vegetarier leiden seltener an verschiedenen Zivilisationskrankheiten (Übergewicht, Diabetes mellitus, Atherosklerose und Herzkreislauferkrankungen, Darmkrebs, Brust­ krebs, Osteoporose, Zahnkaries, Hypertonie, Gicht) und haben eine höhere Lebenser­wartung. Dies lässt sich nicht nur durch Meiden von Fleisch begründen. Eine Rolle spie­len in der vielschichtigen Krankheitsentstehung die geringe Fett - und Cholesterinzufuhr, die höhere Aufnahme von ungesättigten Fettsäuren, von komplexen Kohlehydraten und Ballaststoffen und von sekundären Pflanzenstoffen. Ferner ist ein „Zuviel“ auch bei den tierischen Proteinen und bei elementaren Nahrungsbestandteilen wie zum Beispiel dem Eisen von Nachteil. Daneben spielen auch das niedrigere Körpergewicht, die lebhaftere körperliche Betätigung, der niedrigere Alkohol - und Nikotinkonsum von Vegetariern eine Rolle.

      .   

       

      Besondere Kapitel wären zur vegetarischen Ernährung besonders anspruchsvoller Menschengruppen zu schreiben, als da sind: Säuglinge und Kleinkinder, Jugendliche in der Pubertät, Schwangere, Stillende, Kranke und Rekonvaleszente und Kandidatinnen mit Olympiagedanken. Diese Kapitel sind alle geschrieben und bei Leitzmann im Detail nachzulesen. Auch hier können Skeptiker beruhigt werden: Eine lactovegetarische Ernährung deckt auch Kategorien mit hohen Bedarfsansprüchen ideal, wenn sie vielfältig zusammengestellt wird. Es braucht dazu keinen Taschenrechner, keine Tabellen und kei­ne dauernde Besinnung auf was vielleicht fehlen könnte; es braucht ein bisschen gesun­den Menschenverstand. So ist es von der Natur übrigens auch vorgesehen.

      Demgegenüber sind die Risiken bei veganer Ernährung grösser, in einen Mangel zu gera­ten. Das muss zwar nicht sein, aber es bedarf doch des grösseren Aufwandes, Unterver­sorgungen zu vermeiden. VeganerInnen sind in der Regel sorgfältig und verstehen etwas von Ernährung. Jegliche Bemühungen, sie zu bekehren, insbesondere von Ärzten, die sich mit veganer Ernährung gar nicht auskennen, sind deshalb fehl am Platz. Einseitige Ernährung ist ein Risiko, aber nicht ein speziell vegetarisches Problem; viele Mütter beklagen sich über die schrecklichen Essgewohnheiten ihrer Lieblinge: Der „Puddinvegetarier“ ist nur ein Beispiel, es sind auch zu nennen: Der Kühlschrankräuber, der Pommes-frites-Fritz, der Spaghettifant, der Büchsentomatenöffner, die Nudelliese, der Cola-Bär, der Glacenschlumpf, die Schoggimuus, der Gutzibruzzi und andere Spe­zialisten.

      Es gibt unter den Kindern ausgesprochene Sparmodelle: ihnen geht es hervorragend, auch mit niedrigsten Mengen von fast gar nichts; bilanzmässig sind sie ein Rätsel.

       

      Es sei noch die Frage der schädigenden Inhaltsstoffe von Lebensmitteln gestreift:

       

      Toxikologische und hygienische Aspekte

      Sowohl pflanzliche wie tierische Nahrungsmittel können unerfreuliche Beimengungen enthalten:

      ··    Zusatzstoffe (Farbstoffe, Konservierungsmittel, Stabilisatoren, Emulgatoren, Süssstoffe, technische Hilfsstoffe)

      ·        Rückstände (Pestizide, Düngemittel, Tierarzneien, Weichmacher, Reinigungsmittel)

      ·        Kontaminanten (Schwermetalle, Radionuclide, polycyklische Kohlenwasserstoffe, Emissionen)

      ·        Biotoxine (Mycotoxine, Pflanzengifte, bakterielle Toxine, Viren, Prionen)  

       

      Daraus geht zwangsläufig hervor, dass jegliche Nahrung ein erhebliches Risiko darstellen kann!

      Vegetarische Ernährungsformen können in einigen Teilbereichen zu einer verminderten Schadstoffaufnahme führen, aber nicht zwangsläufig. Durch das Meiden von Fleisch lässt sich die Zufuhr von Tierarzneimitteln (Antibiotika, Threostatika, Anabolika, Tranquli­zer, ß-Rezeptorenblocker) und beim Pökeln entstehenden Schadstoffen (carcinogene Nitrosamine) umgehen.

      Umgekehrt kann eine pflanzlich orientierte Ernährung zu einer höheren Aufnahme von Pflanzenbehandlungsmitteln führen.

      Ohne das Problem von bakteriellen, viralen und Prionen-Krankheiten zu bagatellisieren, muss ich doch darauf hinweisen, dass Pilzvergiftungen öfters einen unerfreulichen Ausgang nehmen.

      Mit Nachdruck möchte ich betonen, dass die gesundheitlichen Vorteile einer vegetari­schen Ernährung für alle, die sich damit befassen, zwar beruhigend sein dürfen, auch für diejenigen, die sich immer so grenzenlose Sorgen um die Gesundheit der Vegetarier machen. Gesundheit und körperliches Wohlbefinden sind wichtig, das merkt man vor allem, wenn man krank ist. Aber Vegetarismus darf auf keinen Fall für sich in Anspruch nehmen, eine Garantie für Gesundheit zu sein; diese hängt insgesamt von sehr viel mehr verschiedenen Faktoren ab. Es wirkt abstossend, wenn sich ein Gesunder auf die Brust klopft und meint: ich bin gesund, weil ich........, und es ist befremdend, wie einzelne Menschen ausschliesslich auf ihre Gesundheit fixiert sind.

       

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      4. Ökologie und Wirtschaft

       

      Es ist heute undenkbar und kurzsichtig, verschiedene Ernährungsweisen zu vergleichen, ohne deren ökologische Aspekte zu berücksichtigen.

      (Stichworte: Ausbeutung der Ressourcen, Überdüngung, Anreicherung von Schadstoffen in Boden, Wasser und Luft, Abfallbeseitigung, Ozonloch, Waldsterben, Klimaerwärmung)

       

      Für die Produktion von Lebensmitteln werden unterschiedliche Mengen an Energie benötigt. Beim Wachstum pflanzlicher Nahrungsmittel ist der für den Menschen nutzbare Nahrungsenergiegehalt meist grösser als die eingesetzte Primärenergie (Energieaufwand abzüglich Sonnenenergie); beim Anbau von Getreide und Kartoffeln z.B. 6 mal grösser. Die Son­ne als kostenlose Hauptenergiequelle stellt den Hauptlieferanten dar und garantiert eine hohe Effektivität. Werden Pflanzen aber in einem Gewächshaus gezogen, so zieht dies einen extremen Energieeinsatz nach sich.

      Um ein Steak zu produzieren, wird in der intensiven Rindermastzucht bis zu 35 mal soviel Primärenergie verbraucht wie Nahrungsenergie enthalten ist, und dies ohne Schlachtung, Verarbeitung, Kühlung und Lagerung. Der hohe Energieeinsatz für Boden­bearbeitung und Erntemaschinen, für die Herstellung von Düngemitteln und Pestiziden, für mechanische Silohaltung, Fütterung und Abfallbeseitigung hat stetig zugenommen. Während die Erzeugung von tierischen Nahrungsmitteln mit für den Menschen nicht direkt verzehrbaren Pflanzen einen Veredelungsprozess darstellen, führt der Einsatz an hochwertigen Futtermitteln zu einem Veredelungsverlust. Im Durchschnitt ergibt sich für Nahrungsenergie ein Input-Output-Verhältnis von 7:1 , ähnlich wie auch für Nahrungsproteine.

      Nach dem 2.Weltkrieg stieg der Fleischverzehr und Bedarf an tierischen Nahrungsmitteln in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern kontinuierlich an. Auf Grund der hohen Nachfrage wurde wirtschaftlich optimiert: möglichst viel, möglichst billig. Dies führte u.a. zur Massentierhaltung und zu einem hohen Verbrauch an Futtermitteln aus Entwicklungsländern. Für die Fütterung unserer Tiere werden aus sog. Entwicklungsländern viele hochwertige Getreidearten und Soja eingeführt, die an Ort und Stelle für die Ernährung hungernder Menschen geeignet wären. Die hohe Nachfrage führt zu einem ökologischen Raubbau durch Abholzung, Bodenverdichtung und Erosion. Gleichzeitig ist in Monokulturen ein Pestizid-Einsatz nötig, der die Gewässer belastet. Zur Schaffung rentabler Anbauflächen wird ansässige Bevölkerung vertrieben, diese verelendet in den grossstädtischen Slums. Das ist Realität, auch wenn wir geflissentlich wegsehen.

      Weiter hat die intensive Tierhaltung gravierende Konsequenzen für die Umwelt. Grosse Mengen an Gülle und Mist überdüngen die Landschaft, führen zur Nitratanreicherung der Böden, zu anaeroben Fäulnisprozessen in den Gewässern, zur Freisetzung von Methan, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und Sulfiden, tragen damit bei zum Fischsterben und zur Zerstörung des Klimas. 

      Tiertransporte verschlechtern die Bilanz letztlich noch mehr.

      Eine weltweite Ernährung der Menschen im westlichen Stil ist gar nicht möglich und ist bei uns nur auf Kosten der armen Länder realisiert. 

      Auch bei vegetarischer Ernährung müssen ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden, und es sind lange nicht alle entsprechenden globalen Probleme lösbar. Eine Reduktion des Fleischkonsums könnte immerhin zu einem Abbau der Massentierhal­tung und der damit verbundenen gravierenden Konsequenzen führen.

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      5. Tierschutz und Tierrechtsbewegung  

       

      Der Tierschutz hat sich längst von lokalen Vereinen, die sich um streunende Katzen, wildernde Hunde und herrenlose Kanarienvögel im Sinne von rührenden Einzelschicksalen kümmerten, zu einer politisch aktiven und erfolgreichen gesamtschweizerischen Institution (STS) gemausert. Politikern beizubringen, dass schwerste Missstände in der Tierhaltung nicht ad infinitum zu tolerieren sind, ist eine sehr harte Aufgabe. Vegetarismus geht einen anderen Weg, nicht zwangsläufig den besseren: er boykottiert den Konsum der entsprechenden Schweinereien.

      Tierrechtsbewegung geht einen Schritt weiter: Die vegane Avantgarde denkt so konsequent, dass die Menge nicht damit Schritt halten kann. Dem Menschen wird nun jegliches Recht entzogen, über Tiere zu verfügen. Die Überlegungen sind nicht prinzipiell falsch, aber sie sind nicht zeitrealistisch. 

       

      Schliesslich folgen weitere Gründe, kein Fleisch zu essen:

       

      6. Ästhetische Gründe

      Es gibt Menschen, die nicht gern tote Tiere sehen und die sich vor Fleisch ekeln. Das ist ganz normal und Grund genug, kein Fleisch zu essen.

       

      7. Spirituelle Gründe

      Durch Verzicht auf tierische Nahrung werden geistige Kräfte freigesetzt und Meditation erleichtert. So lehren asiatische Meister.

       

      8. Soziale und traditionelle Gründe

      Man kann vegetarisch erzogen werden und ist es dann einfach gewohnheitsmässig.

       

      9. Ökonomische Gründe

      Fleisch ist teure Nahrung und primär den Reichen vorbehalten. Dies fällt im einem der reichsten Länder der Welt wohl ein bisschen weniger auf als dort, wo Hunger und Nahrung tägliches Thema sind.

       

      10. Die Verknüpfung der Lust am Essen und der persönlichen Verantwortung

      Ein vegetarischer Teller ist lustbetont. Die Beimengung von Fleisch ist eine proble­matische Sache, die dem denkenden Menschen die Lust am Essen verderben kann. Wenn er das Tier lebendig vor sich sieht, muss er dessen Tötung verantworten oder er delegiert den Tod einer im Hintergrund agierenden Anonymität. Ambivalente Gefühle während des Essens sind Zeichen dafür, dass etwas nicht rund läuft.

       

      11. Kosmetische Gründe

      Mit vegetarischer Kost kann das Gewicht leichter reduziert werden.

      12. Neurotische und andere psychopathologische Gründe

      Hier sind Entwicklungen von Menschen zu erwähnen, die beachtliche Probleme haben. Auf die Patientinnen mit Anorexie komme ich weiter unten. Neurosen können zu Diäten voller Widersprüche führen.

       

      DIE ARGUMENTATIONSMÜHLE oder die Vernetzung der Argumente

       

      Die Argumente zum Vegetarismus ergänzen sich in synergistischer Weise: unabhängig davon, aus welcher Richtung die Annäherung erfolgt, stets erhält man Bestätigung von der anderen Seite. Vegetarismus ist nicht das Brot des Ökologen, des Arztes oder des Ethikers; es ist unser aller Brot. Das heisst mit anderen Worten:

      Wer aus der Einsicht, dass Ernährung mit Fleisch ökologischer Unsinn ist, darauf verzichtet, wird in seinem Entschluss bestärkt, wenn er sieht, dass daraus entscheidende gesundheitliche Vorteile resultieren.

      Wer das fragwürdige, unnötige Töten als Anlass nimmt, vom Fleisch Abschied zu nehmen, wird davon profitieren, dass er damit einen nachhaltigen Beitrag zu einer für die Weltbevölkerung realisierbaren Ernährungsform leistet.

      Und so weiter.  Dieses Prinzip müsste eigentlich besser funktionieren, als es gegenwärtig tut.

       

      Sind denn die Gegenargumente der Fleischverzehrenden und ihre Vorurteile dermassen überzeugend???

      Fleisch ist Stärke. Fleisch ist Macht. Fleisch ist Leben. Es ist die Krönung aller Nahrunsgmittel. Es gibt Kraft, erhöht die Potenz, verstärkt die Aggression, facht die Leidenschaft an, macht aus Männern Machos.

      Fleisch befriedigt die animalische Seite der menschlichen Natur. Es gibt langweiligen Tagen die blutige Würze.

      Fleisch ist Mittelpunkt vieler Mahlzeiten, der Rest dient zur Garnitur.

       

      Solche Phantasien sitzen in den Köpfen vieler Fleischesser, aber nicht aller. Andere sind aufgeklärter und ehrlicher: Fleisch ist ein von den Proteinen her hochwertiges Nahrunsgmittel und ein guter Eisenlieferant. Sein Geschmack wird von vielen so hoch bewertet wie der eines Genussmittels, sein Biss ist unvergleichlich So einfach, und so wirksam ist das!

       

      Warum ist der Verzicht auf Fleisch für den Menschen so schwierig?

      In einer deutschen Studie wurden Patienten mit Kornonarstenosen befragt, ob sie sich für eine lactovegetarische Kost oder für eine nicht vegetarische, cholesterinarme Kost entscheiden wollten; in der betreffenden Klinik wurden beide Formen angeboten. 84% der Patienten entschieden sich für eine nichtvegetarische Kost und beantworteten einen Fragebogen mit der Bewertung folgender Aussagen auf ihre Richtigkeit:

      ·      Vegetarische Ernährung (V.E.) enthält nicht alle notwendigen Nährstoffe, sondern führt auf Dauer zu Mangelzuständen.

      ·        V.E. führt zu Muskelschwäche und vermindert die Leistungsfähigkeit.

      ·        V.E. hat bei einer Koronarerkrankung keine Vorteile

      ·        V.E. schmeckt nicht

      ·     Vegetarier sind verbissene Gesundheitsfanatiker, die keinen Spass am genussvollen Leben haben.

      ·        Fleisch ist ein Stück Lebenskraft

      ·        V.E. ist zu teuer

      ·        V.E. stösst auf Ablehnung in der Umgebung

      ·        Durch häufiges Auswärtsessen ist eine V.E. nicht möglich

       

      Obwohl alle Behauptungen falsch sind, erhielten sie bis zu 51% Zustimmung, allen voran die Legende der Lebenskraft, gefolgt vom Geschmack und vom Auswärtsessen. Diese Resultate wurden denjenigen Angaben gegenübergestellt, die Patienten machten, die sich früher schon einmal vegetarisch ernährt hatten; die Differenzen waren gewaltig. Das erstaunt auch nicht, beruhen doch die Einschätzungen der Nicht-Erfahrenen vor allem auf Vorurteilen.

      Viel wichtiger als rationale Argumente und als Vorurteile sind in der Ablehnung einer Änderung des Essverhaltens psychologische Aspekte. Eigenes Essverhalten und gesunde Ernährung sind zwei Welten. Gesundheitliche Argumente haben bei Gesunden keine Wirkung. Sie wirken erst, wenn Leidensdruck da ist oder unmittelbare Angst, sich mit Prionen oder was auch immer anzustecken.

      Angst zu schüren, ist aber der falsche Weg, etwas zu verbessern.

      Menschliches Essverhalten kann sehr stabil sein, wenn es eine emotionale Verankerung besitzt; genau diejenige nämlich, die die Mutter dem Kind mit der Zufütterung von Fleisch als das Kostbarste der Welt eingeimpft hat und mit so viel Liebe besetzt hat.

       

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      Die Nahrung des Menschen II

       

       

      Wenn wir weiter oben die Ernährung des Menschen in der geschichtlichen Entwicklung betrachtet haben, so möchte ich dies nun für den einzelnen Menschen im Rahmen seiner eigenen Entwicklung tun.

       

      Das neugeborene Menschenkind bekommt Muttermilch, ähnlich wie die meisten Säuge­tiere: bei Bedarf und bis zur Genüge. Mit einigen Monaten beginnt es, sich für andere Nahrung zu interessieren, die ihm von der Mutter geboten wird. Es wird nicht nach der Herkunft der Nahrung fragen, sondern nach dem Geschmack. Nach offiziellem Ernäh­rungsplan wissenschaftlicher Experten (Ernährungskomissionen) steht nun ab dem fünf­ten Monat Fleisch auf dem Speisezettel. Mit der grössten Selbstverständlichkeit wird die­ses auch gegessen, und bald wird es zur Gewohnheit.

      Ist das gut so? Nein. Es findet hier eine Verführung mit geheimnisvoller Nahrung statt, die auf unehrliche Weise angeboten wird: das Kalb, die Kuh oder das Kaninchen als Herkunft für den Brei wird unterschlagen. Unter Umgehung der Wahrheit sowohl über Herkunft als auch über die Tötung wird dem Kinde unter der Vorspielung, es handle sich um harmloses Futter, etwas ganz anderes untergejubelt. Gleichzeitig werden die Tiere als Spielkameraden angeboten.

       

      Osterhase und Kaninchenbraten, Quaak-Quaak und Entenbrust, Bambi und Rehrücken, Muh-Muh und Kalbsbraten ?

      Damit kommt es zu einer Prägung des Essverhaltens mit einer immensen emotionalen Besetzung: das Fleisch kommt, wie die Muttermilch, vom liebsten Menschen der Welt; von der Mutter. HIER ensteht eine Bindung zu Fleisch, die nicht so schnell vergessen wird. Fleisch, die zweite Muttersprache?

      Könnte das Kind wählen, ob Apfel oder Kaninchen, würde es sich für den Apfel entscheiden. Durch die Anonymisierung des Schlachtprozesses und durch die Verarbeitung zum plastifiziertem Konsumartikel wird jeder direkte Bezug vom Kind zum Ursprung seiner Nahrung verunmöglicht; schlimmer noch, es wird daran gewöhnt, von der pauschalen Verantwortungslosigkeit einer Massengesellschaft eingewickelt Dinge zu tun, ohne sich vom eigenen Denken, sei es instinkt-oder überlegungsmässig, lenken zu lassen.

       

      „Ein Unrecht bleibt auch dann ein Unrecht, wenn alle es verüben. Der Mensch ist nicht nur verant­wortlich für die Handlungen, die er selbst ausführt, sondern auch für die, die er von anderen ausfüh­ren lässt.“ (M.Schwantje, 1877-1959) 

       

      Das System funktioniert prima: Einmal an den Fleischverzehr gewöhnt, werden nicht viel Fragen gestellt. Und wenn, dann wird beschwichtigt. Die Haltung der Erziehenden ist ambivalent. Es fehlt die Geradlinigkeit der Botschaften. Ambivalent sind die Botschaften der Eltern: Hier das herzige Kaninchen, und da der schmackhafte Braten. Doppelte, verlogene Botschaften sind geeignet, ein Kind zu neuro­tisieren. Ich spreche nicht vom Bauernhof: Dort ist man zumindest ehrlich: Leben und Tod sind sichtbar und ergänzen sich. Gemeint (und gemein) ist die industrialisierte Gesellschaft, die sich von jeglicher persönlichen Verantwortung loslöst und windfahnen­mässig mitmacht, was gerade läuft.

       

      „Es ist die Anonymität unserer Tieropfer, die uns taub macht für ihre Schreie.“ (E.Drewermann: Über die Unsterblichkeit der Tiere)

       

       

      Kinder haben Mühe, mit der einmal wahrgenommenen Realität des Zusammenhanges zwischen dem Töten des Tieres und dem Tierteil auf dem Teller umzugehen; aber die Eltern machen’s vor: der Konflikt wird verdrängt, das Kind mit ambivalentem Verhalten imprägniert und die Konflikttoleranz geübt.

      Wir sind eine Gesellschaft des Tötens, das beginnt mit der Desinfektion und endet mit der Armee.

      Du sollst nicht töten?? Ja, ausser wenn Du natürlich einen Grund hast, oder gar einen Befehl...

       

      Je früher unsere Jugend von sich aus jede Rohheit gegen Tiere als verwerflich anzusehen lernt, je mehr sie darauf achtet, dass aus Spiel und Umgang mit Tieren nicht Quälerei wird, desto klarer wird auch später ihr Unterscheidungsvermögen werden, was in der Welt der Grossen Recht und Unrecht ist“. (Theodor Heuss)

       

       

      Kinder erhalten Gelegenheit, über sich selbst nachzudenken: sie kommen in die Pubertät, sie werden erwachsen. Schon präpubertär tauchen Fragen auf, die zuvor kein Thema waren, pubertär spitzt sich die Lage zu, vor allem bei den Mädchen.

      Was liegt denn da auf meinem Teller? Will ich das oder will ich das nicht? Diese Frage hat sich schon das Neunmonatige gestellt, und den faden Brei gespuckt, wenn der Geschmack nicht passte. Jetzt geht die Frage deutlich weiter: will ich wirklich, dass das Kalb wegen mir zuerst misshandelt und dann geschlachtet wird? 

      Schrittweise findet eine Neu- Orientierung statt, und die Nahrungsquellen werden eingeschränkt. Dazu braucht es allerdings die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch umzusetzen. Die Stärke des Charakters, die Toleranz der Eltern, die Akzeptanz der peer-groupe und die Möglichkeit einer Identifizierung mit Vorbildern sind Weichen stellende Faktoren.

      Oft genug scheitert der Versuch, eine eigene Linie zu finden und Verantwortung zu übernehmen. Noch ist es leichter, sich der Gesellschaft anzupassen, den Weg des gering­sten Widerstandes zu gehen. Es sind ja noch genug andere Probleme da, und was kann ICH schon dafür, dass die Nahrung so bereit liegt?

       

      Hier möchte ich auf den Zusammenhang zwischen Vegetarismus und Pubertätsmagersucht hinweisen.

      Es wird kaum jemandem, der sich mit magersüchtigen Mädchen oder jungen Frauen auseinandersetzt, entgangen sein, dass viele aus ihren Reihen Vegetarierinnen sind. Folgende Varianten sind möglich:

      - Ablehnung des Animalischen, des Fettes, des hohen Eiweissgehaltes, des Blutes, des Jägers, des Metzgers, der männlichen Gewalt, alles ohne Berücksichtigung des Tieres und ohne Mitleid mit ihm.

      - die pseudojuristische Auseinandersetzung mit der Frage, ob Tiere getötet werden dürfen oder nicht, die, wenn auch mit einer gewissen Gefühlskälte, zugunsten der Tiere entschieden wird.

      - das Erkennen des Tieres als Nächsten, die Rücksichtnahme, das Prinzip des Mitleids, des Mitgefühls.

      Während die einen Komponenten zwangsneurotische und reaktionäre Wurzeln haben, können andere nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Patientinnen fühlen sich bezüglich Vegetarismus in der Regel nicht ernst genommen und sind einsam. Hier lohnt es sich, im Dialog die ethischen Motive zu erörtern und positiv zu besetzen, was der Patientin erleichtert, von den zwangsneurotischen Fixierungen abzulassen. Das stärkt die Patientin und befähigt sie, ohne Gesichtsverlust auf eine positive Art mit ihrer einge­schränkten Ernährungsweise umzugehen. Das elende Gefängnis der Magersüchtigen kann so wenigstens mit allseitiger Zustimmung um das innere Gefängnis der Pflicht zum Töten erleichtert werden; ein minimaler Beitrag zur Verbesserung ihrer Lage.

      Eine weitere Hypothese: Der Verzehr von Fleisch beinhaltet den Tötungsakt des betreffenden Tieres. Auch die unbewusste Belastung des Gewissens von Menschen, die diesen Tötungsakt an und für sich ablehnen, wirkt destruktiv auf die ganzheitliche Gesundheit.

       

      Ausblick 

       

      Vor allem drei der vielen Aspekte des Vegetarismus müssten das Ernährungsverhalten der Menschen in Zukunft ändern: Gesundheit, Ökologie und Ethik.

      Gesundheitliche Argumente sprechen unmissverständlich dafür, den Fleischkonsum zu reduzieren, aber nicht zwangsläufig ganz darauf zu verzichten. Für gesundheitliche Argumente haben Jugendliche und viele Erwachsene, die sich diesbezüglich auffallend jugendlich verhalten, schlechte Ohren. Wirksam werden Warnungen erst, wenn unmittelbare Gefahr droht (Seuchengefahr!) oder wenn sich Leidensdruck bemerkbar macht; selbstredend  beim Menschen, nicht bei den misshandelten Tieren.

       

      Ökologische Argumente, mögen sie noch so klar sein, interessieren die Durchschnitts­bevölkerung nicht, solange die Regale der Läden bis zur Decke mit Nahrungsmitteln, gleich welcher Herkunft, voll gestopft sind. Im Interesse einer genügenden Versorgung mit Gütern jeglicher Art ist das primäre wirtschaftspolitische Ziel eine Erhöhung der Produktivität. Letztlich wird die Rechnung nicht aufgehen, weil die Ressourcen beschränkt sind; der Lösungsansatz, die Produktivität um jeden Preis zu erhöhen, ist deshalb prinzipiell falsch.

       

      Ethische Argumente eignen sich in einem kleinen Rahmen, die Situation zu verbessern. Eine Konsumgesellschaft hat keine offenen Ohren dafür.

       

      Langfristig besteht aber doch gerade hier die Hoffnung auf eine grundlegende Änderung: Die Entwicklung der Menschheit hat eben erst begonnen, sie ist mitnichten beendet. Sie hat ja wohl nur dann einen Sinn, wenn sie etwas Neues bringt, etwas Humanitäres eben, und nicht bloss die Perfektion einer Tötungsmaschinerie. Diese würde ja lediglich zu einer Selbstzerstörung führen, und das dürfte kaum die Absicht der Schöpfung sein; so hoffe ich wenigstens.

       

      Der Abschied vom Töten scheint den Menschen noch schwer zu fallen; eines Tages wird es soweit sein.

      F.Binkert, 1998

       

      „Es wird lange dauern, bis die Menschheit begriffen hat, das nicht nur die Völker der Erde ein Volk sind, sondern dass Menschen, Pflanzen und Tiere zusammen Reich Gottes sind und dass das Schick­sal des einen Bereichs auch das Schicksal des anderen ist“ (E.Drewermann)

          

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