Pilgerreise                                                                                                                                                                                zurück

Wichtige ELEMENTE ERICKSON‘SCHER THERAPIE

Ein grundlegendes Prinzip bei Erickson ist das Vorgehen nach einer Strategie. Von strategischer Therapie spricht man, wenn der Therapeut vergleichbar mit einem Schachspieler seine Therapie über mehrere Schritte vorausdenkt und plant. Zusätzlich finden sich häufig auch Elemente einer Inszenierung, bei der ebenfalls, vergleicht man mit der Theaterinszenierung, eine Entwicklung über mehrere Akte stattfinden kann. Die folgende Geschichte, Die Truhe von Indnes Shah (1994, 5. 70), enthält typische Elemente strategischer Planung und Inszenierung.

Ein Mann, der eine Pilgerreise nach Mekka machen wollte, entschied sich, vor seiner Abreise eine Truhe mit seinen Wertsachen bei einem angesehenen Kaufmann in Kairo zu hinterlegen und nur ein paar Dinge, die er unbedingt brauchte, mit auf die Pilgerfahrt zu nehmen. So fand er sich wenig später in dem Laden des Mannes ein, den seine Freunde ihm als einen sehr ehrenhaften Menschen beschrieben hatten. Er vertraute ihm seine Truhe an und trat seine Pilgerreise an.

Als er jedoch zurückkehrte und sein Eigentum zurückhaben wollte, behauptete der Kaufmann, dass er weder jemals irgend etwas von ihm bekommen habe noch ihn jemals zuvor getroffen habe. Und auch die Nachbarn weigerten sich zu glauben, dass ein so ehrenhafter Mann wie der Kaufmann lügen könne. Der Pilger, der nur noch sehr wenig Geld hatte und sich ohne Freunde in einem fremden Land befand, ging - schockiert und verwirrt - die Straße hinunter, unfähig zu entscheiden, was nun zu tun sei. In diesem Zustand bemerkte ihn eine weise Frau, welche das Gewand eines Derwisches trug, und sie fragte ihn nach dem Grund seiner Verwirrung.
Nachdem er ihr erklärt hatte, was ihm zugestoßen war, sagte sie: “Was möchtest du in dieser Sache unternehmen?“
“Mir fällt nichts anderes ein, als es mit Gewalt zu versuchen oder zur Polizei zu gehen“, erwiderte der Pilger.

 “Die Polizei wird dir nicht helfen können, solange du das Verbrechen nicht beweisen kannst“, meinte die Frau, “und wenn du es mit Gewalt versuchst, wirst du im Gefängnis landen. Wenn du mir er absolut vertraust, kann ich dir einen Weg zeigen, wie du ganz sicher wieder an dein Eigentum gelangen kannst.“

Der Pilger willigte ein und versprach, alles zu tun, was sie verlangte.

Sie half ihm also, zehn wunderschöne und kostbar aussehende Truhen für einen Tag zu mieten, welche sie mit Erde und Steinen füllte. Dann bat sie einen Freund, diese Truhen auf einem Karren vor den Laden des Kaufmanns zu bringen. Dieser Freund, ein Derwisch, war gekleidet wie ein wohlhabender Mann.

Als der Mann mit seiner Fracht vor dem Laden ankam, gab er vor, in der Stadt fremd zu sein, und bat den Kaufmann, auf seine zehn Truhen aufzupassen, während er verreiste.
“Die Kisten sehen aus, als seien sie gefüllt mit Kostbarkeiten“ dachte der Kaufmann bei sich und erklärte sich sofort bereit, sie ‚für einen kleinen Unkostenbeitrag
- in seinem Haus unterzustellen und auf sie aufzupassen.

Als er jedoch im Begriff war, die Truhen in seinen Laden zu schaffen, trat der Pilger hinzu und sagte: “Ich bin gekommen, um die Truhe mit meinen Habseligkeiten zu holen, die ich hier abgestellt habe Könnte ich sie jetzt bekommen?“

Vorlauter Angst, dass der Besitzer der wunderbaren Truhen voller “Kostbarkeiten“ bei einem Streit misstrauisch werden könnte, händigte der Kaufmann dem Pilger mit einem freundlichen Lächeln sein Hab und Gut wieder aus.

Kurz darauf sagte der verkleidete Derwisch: “Vielen Dank für Ihre Mühe, aber ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, ich nehme meine Kisten doch lieber auf die Reise mit.“