Warum, trotz allen Spiegeln, weiß man
eigentlich nicht, wie man aussieht und kann daher nicht die eigene Person, wie
die jedes Bekannten, der Phantasie vergegenwärtigen? eine
Schwierigkeit, welche dem gnothi seauton [Erkenne dich selbst! Inschrift des Apollontempels zu Delphi], schon beim ersten Schritte,
entgegensteht.
Ohne Zweifel liegt es zum Teil daran, daß man
im Spiegel sich nie anders, als mit gerade zugewendetem und unbeweglichem
Blicke sieht, wodurch das so bedeutsame Spiel der Augen, mit ihm aber das
eigentlich Charakteristische des Blickes, großen Teils verloren geht. Neben
dieser physischen Unmöglichkeit scheint aber noch eine ihr analoge ethische
mitzuwirken. Man vermag nicht auf sein eigenes Bild im Spiegel den
Blick der Entfremdung zu werfen, welcher die Bedingung der Objektivität
der Auffassung desselben ist; weil nämlich dieser Blick zuletzt auf dem
moralischen Egoismus, mit seinem tiefgefühlten Nicht - Ich, beruht, als
welche erfordert sind, um alle Mängel rein objektiv und ohne Abzug
wahrzunehmen, wodurch allererst das Bild sich treu und wahr darstellt.
Statt dessen nämlich flüstert, beim Anblicke
der eigenen Person im Spiegel, eben jener Egoismus uns allezeit ein
vorkehrendes »es ist kein Nicht-Ich, sondern Ich« zu, welches als ein noli me tangere [Rühr mich nicht an!] wirkt
und die rein objektive Auffassung verhindert, welche nämlich ohne das Ferment
eines Grains Malice [einer kleinsten
Beimischung von Bosheit] nicht zu Stande kommen zu können scheint.
- (
schop
enhauer)