Begegnung mit Gil Roman                     

                                                Magic!                

                                                                           


Er gab sein Tanzdebüt mit 7 Jahren und leitet heute das Béjart Ballet de Lausanne. Lernen Sie Gil Roman kennen, den verdienten Nachfolger von Maurice Béjart. Er spricht über seine Sicht des Tanzens und was ihn dazu gebracht hat, professioneller Tänzer zu werden.

Wie lassen Sie den Geist Maurice Béjarts weiterleben ?

Etwas am Leben zu erhalten bedeutet, etwas zu lieben. Vor allem das Werk von Herzen zu lieben, es zu verstehen und dann an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, die es auf ihre Weise aufnehmen, aus ihrer aktuellen Perspektive betrachten. Alles hat seinen Sinn, die Figuren werden in eine bestimmte Richtung interpretiert, und wenn das Werk an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird, können sich diese auf eine solide Grundlage stützten, z.B. auf die Choreographie mit ihrer Ausrichtung, und verfügen dann über ausreichend Elemente, um die Choreographie neu zu erfinden.

Eine Choreographie, die von Generation zu Generation weitergereicht wird, muss neu erfunden werden. Nicht nur verändert werden, denn sie verändert sich ganz von selbst. Sie muss im Innersten neu erfunden werden und das bedeutet nicht, die Schritte zu ändern, die Aufmachung etc., sondern im Innersten zu arbeiten, die Kreationen zu verinnerlichen, damit sie die Tänzer von heute anders tanzen können.

Welches Erbe hat Maurice Béjart künftigen Tänzern hinterlassen ?

Tanzen beinhaltet für mich zweierlei. Zum einen ist Tanz eine Suche im Innersten, um sich selbst weiterzuentwickeln, sich in den verschiedenen Rollen, den verschiedenen Dingen selbst zu entdecken. Es handelt sich also um einen Weg der eigenen Initiation. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt der Vision von Maurice. Zum anderen muss der Tanz großzügig sein, d.h. wenn man ein Stück zur Aufführung bringt, dann tut man dies, um auf die Menschen zuzugehen, die Menschen zu verändern, man tut es nicht, um ihnen etwas von vorne, aus der Distanz, vorzuspielen.

Maurice wollte den Zuschauern seiner Werke immer den Schlüssel in die Hand geben, damit sie teilnehmen und ihr eigenes Stück kreieren können. Zunächst sind die Tänzerinnen und Tänzer damit beschäftigt die Dinge zu verinnerlichen und in Beziehung zu sich selbst, ihrer eigenen Lebenseinstellung zu setzen und dann, wenn Sie das Stück zur Aufführung bringen, spielen sie für die Zuschauer, und die Bedeutung des Schauspiels spielt bei Maurice eine große Rolle.

Wie gelingt es einem, alle Tänze in Magie zu verwandeln ?

Das ist schwierig in Worte zu fassen, der Zauber hängt von der Verinnerlichung der Person ab oder von der Verbindung der Person mit etwas, das ihr geschieht.

Was ist die wichtigste Lektion, die Sie von Maurice Béjart gelernt haben ?

Für Maurice war es sehr wichtig, seine Arbeit zu tun, sein „Petit Metier“, wie er sagte, d.h. das zu tun, was getan werden muss. Es gab bestimmte Bereiche, die ihm wichtig waren, aber er mochte es nicht, wenn man ihn Künstler oder Schöpfer nannte. Nach seinem eigenen Verständnis war er kein Künstler. Er war Handwerker und er mochte diese Bedeutung, die in diesem Begriff mitschwingt, nämlich seine Arbeit sorgfältig auszuführen.

Was für eine Beziehung haben Sie zu Tanzboden ?

Ohne Boden kann man nicht Abheben. Man muss den Boden lieben, ihn hegen und pflegen, man muss loslassen können, aber ohne ihn kann man nicht zum Höhenflug ansetzen. Keiner ist vollkommen, auch ich nicht, es ist also eine Frage der Anpassung und der Harmonie, der Beziehung zwischen Tänzer, Boden, Technik, Ort etc. Außerdem hängt vieles von dem Menschen ab, der sich auf den Boden einlassen muss und ausgehend davon alles akzeptieren muss, was passieren könnte. Dann kann er in Freiheit auf jedem beliebigen Boden tanzen.

Welchen Rat würden Sie einem jungen Tänzer geben ?

Wenn man im Leben etwas will, dann kann man es auch erreichen. Es ist alles eine Frage des Willens. Wenn man das Tanzen liebt, dann wird man Tänzer, wenn man es wirklich will und es einem wirklich viel bedeutet. Ich habe nicht wirklich einen Rat, weil jeder seinen eigenen Weg mit seinen eigenen Schwierigkeiten geht, aber wenn ein Tänzer tanzen will, dann wird er tanzen, weil ihn nichts davon abhalten kann.

Als ich einmal an einem Kurs teilgenommen habe, sagte man mir: „Wow, du hast Talent!“. Es erschien mir so einfach, ich bin bei dieser Tätigkeit geblieben und ab diesem Zeitpunkt gab es keine Schwierigkeiten mehr, ich habe alle Probleme gleich zu Beginn akzeptiert, weil sie zu diesem Beruf dazugehören. Schwierigkeiten kommen durch Menschen von außen, die sagen: „Mensch, ist das schwierig!“ Aber ein Pianist, der jeden Tag übt, hat ja auch Spaß daran und das ist doch das Wichtigste.

Wenn man an etwas Freude hat, tut man es einfach und denkt nicht lange über die Nachteile nach. Tanzen ist wie jeder andere Beruf: wenn es einem Freude macht, kommt man voran und entwickelt sich weiter. Da zählt nur noch die Freude.

Welches Wort mögen Sie am wenigsten ?

Ein Ausdruck, den ich nicht mag, ist „etwas im Griff haben“, wenn man ihn im Zusammenhang mit Gefühlen, Liebe oder Familie verwendet. Ich verstehe nicht, wie man dieses Wort benutzen kann, um Freundschaft, Liebe und solche Dinge einzugrenzen, das leuchtet mir einfach nicht ein. Wenn mir jemand sagt „ich habe mein Leben im Griff“, dann muss ich sagen: „ich habe überhaupt nichts im Griff“.

Haben Sie ein Motto ?

Das Motto von Maurice war „tu was oder stirb“. Mir persönlich gefällt der Satz „werde, was Du bist“ von Nietzsche, den Maurice auch häufig verwendet hat. Er trifft irgendwie zu auf den Weg, den man gehen muss, auf das, was die Tänzer tun müssen, nämlich zu dem zu werden, was sie in ihrem Innersten sind, sich selbst zu entdecken. Die Zwiebelschale im Laufe der verschiedenen Rollen, die sie spielen und in den Balletten, bei denen sie mitwirken, nach und nach abzuschälen und zu versuchen, sich selbst zu finden.